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hen, wie Tobias vermutete. Aber da war Derwalt bereits
zwischen den beiden Tieren hindurchgetaucht und rannte
mit weit ausgreifenden Schritten davon. Sofort gaben die
anderen Knochenreiter ihren Tieren die Zügel und sprengten
hinter ihm her.
Hätten sie es gewollt, so hätten sie ihn binnen weniger
Schritte eingeholt, aber ganz im Gegenteil wuchs Derwalts
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Vorsprung für einige Augenblicke sogar, ehe die Reiter etwas
mehr an Tempo zulegten und wieder aufholten. Jäger und
Gejagter waren nur noch Schatten in der düsteren Nacht, als
sich das Manöver, das Tobias schon einmal beobachtet
hatte, wiederholte und sich die Gruppe der Verfolger teilte.
Tobias sah, wie Derwalt unter dem Ansturm von zwei
berittenen Gestalten auf die Knie fiel, ehe die Männer aber-
mals einen Kreis um ihre Beute bildeten. Und auch diesmal
griffen sie ihn nicht an. Das Geschehen war schon zu weit
von Tobias' Versteck entfernt, als daß er noch Einzelheiten
erkennen konnte, aber nach einer Weile begannen sich die
Schatten wieder zu bewegen, und er ahnte, daß es Derwalt
abermals gelungen war, seinen unheimlichen Verfolgern zu
entwischen. Es war ein Spiel. Ein tödliches, unmenschliches
Spiel, das sie mit ihm trieben. Die Toten waren aus ihren
Gräbern emporgestiegen, um die Lebenden zu jagen, und er,
Tobias, der vielleicht der einzige war, der etwas hätte tun
können, tat nichts. Er hatte die Hände so fest zusammenge-
preßt, daß das Blut aus seinen Fingern gewichen war, und
bewegte die Lippen zu einem stummen Gebet, das kein
Gebet mehr war, sondern nurmehr aus leeren, bedeutungs-
losen Worten bestand. Und so blieb er auch noch sitzen, als
sich der entsetzliche Schattentanz in der Nacht verloren
hatte und er längst wieder allein war.
Es dauerte fast eine Stunde, bis er die Kraft fand, sein
Pferd wieder aus dem Gebüsch am Flußufer herauszuführen
und zitternd in den Sattel zu steigen, um nach Buchenfeld
zurückzureiten.
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Auch am darauffolgenden Morgen erwachte er erst Stunden
nach Tagesanbruch. Das Zimmer war erfüllt von hellem
Sonnenlicht und Wärme, als er die Augen aufschlug. Im
allerersten Moment hatte er Schwierigkeiten, sich zurechtzu-
finden. Er erinnerte sich kaum, wie er nach Buchenfeld
zurückgekommen war. Alles, was zwischen jenen furchtba-
ren Momenten am Ufer und dem Moment, in dem er in die-
ses Haus taumelte, passiert war, erschien ihm wie ein böser,
sinnloser Alptraum. Er hatte das Pferd erbarmungslos ange-
trieben, um dem Irrsinn zu entkommen, der in der Nacht auf
ihn lauerte, doch mit jeder Meile war das Entsetzen in ihm
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größer geworden, und mit jedem Mal, da er sich einzureden
versucht hatte, er hätte nichts tun können, war die Überzeu-
gung in ihm gewachsen, daß alles, was am Ufer des Flusses
geschehen war, in seine Schuld fiele. Derwalt war vermut-
lich tot; doch er könnte wahrscheinlich noch leben, hätte er,
Tobias, nicht versucht, ihm Geheimnisse zu entlocken, die er
nicht preisgeben durfte. Er hatte ihm vertraut, denn er hatte
in Tobias nicht einen Mann gesehen, der ihn um Hilfe bat,
sondern die Macht der Kirche, die Macht Gottes, die ihn
selbst vor jenen entsetzlichen Kreaturen der Hölle beschüt-
zen würde.
Die Verantwortung für Derwalts Schicksal lastete auf
Tobias' Gewissen. Und wenn der Tag kam, an dem er dem
Herrn gegenübertrat und Zeugnis über sein Leben und Werk
ablegen mußte, so würde er auch diese Schuld bekennen
müssen.
Tobias stand auf. Er fühlte sich schmutzig und ver-
schwitzt, und als er einen Blick auf das Bett herabwarf, in
dem er gelegen hatte, sah er, daß das Laken zerwühlt und
feucht war. Er fühlte sich keineswegs erfrischt oder ausge-
ruht, noch immer steckte die Angst ihm in den Knochen,
fast noch schlimmer als in der vergangenen Nacht. Er
wußte, daß er die schrecklichen Bilder der vergangenen
Nacht nie wieder vergessen würde. Und sein eigenes Versa-
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gen. Denn wozu war er hergekommen? Er, nicht nur ein
Geistlicher, nicht nur ein Prediger, sondern ein Inquisitor,
der die einzige Macht auf dieser Welt repräsentierte, die der
Hölle und ihren Abgesandten Einhalt gebieten konnte. Wozu
war er gekommen, wenn nicht, um diese Menschen vor den
Abgesandten der Finsternis zu schützen?
Doch er hatte sie ihnen ausgeliefert.
Tobias sah ein, daß solcherlei Überlegungen zu nichts
führten, und zwang sich mit aller Macht, an praktischere
Dinge zu denken. Es hatte keinen Sinn, wenn er sich in
Selbstvorwürfen erging. Noch immer konnte er versuchen,
Schlimmeres zu verhindern.
Wie am Tag zuvor hatte Maria auch heute eine Schale mit
frischem Wasser neben seinem Bett abgestellt. Er wusch sich
flüchtig, trocknete sich das Gesicht mit dem Ärmel seiner
Kutte und warf im Hinausgehen einen Blick auf das kleine
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Kruzifix über dem Bett. Der verschobene Schatten auf der
Wand schien ihn zu verhöhnen. Alles erschien ihm so klar,
so einfach - wieso konnte er nicht einfach die Hand aus-
strecken und die Lösung aufheben, die zum Greifen nahe vor
ihm liegen mußte?
Aber es war, als lähme etwas seine Gedanken, als durch-
dringe ein böser, finsterer Zauber die Luft in dieser Stadt wie
der Gestank des Sees, eine unsichtbare Macht, die nicht nur
ihre Bewohner, sondern auch ihn daran hinderte, das Offen-
sichtliche zu sehen.
Er verließ das Schlafzimmer, warf einen Blick in die leere
Stube und wandte sich dann zur Treppe. Das Haus war still
wie immer, aber die ausgetretenen Stufen knarrten, und als
er sich der Tür zur Dachkammer näherte, vernahm er
gedämpfte Stimmen, die miteinander redeten: Maria und
Katrin.
Er wollte die Hand nach der Tür ausstrecken, doch in
diesem Moment hörte er einen überraschten Laut hinter
sich, und als er sich herumdrehte, erkannte er Bresser, der
am Fuße der Treppe aufgetaucht war und ihn überrascht
ansah.
»Pater Tobias? Ihr seid wach?«
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»Wäre ich es nicht, könnte ich kaum hier stehen und diese
dumme Frage beantworten«, erwiderte Tobias gereizt.
Bresser lächelte unglücklich und trat von einem Fuß auf
den anderen. »Wo seid Ihr gestern abend gewesen?« fragte er
nach einer Weile.
»Ich habe Euch gesucht.«
»Ich habe dem Grafen gesagt, daß ich nicht auf seinem
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